Die Fakten sprechen klare Worte: Schweizerinnen und Schweizer belasten mit ihrer Lebensweise Umwelt und Klima. Beinahe dreimal die Erde wäre erforderlich, wenn alle wie die Schweizer Bevölkerung leben würden. Eine mögliche Lösung, die Wohlstand und Klimaschutz miteinander vereinbaren soll, ist die Idee des nachhaltigen Konsums. Plakativ formuliert: Stromsparende Kühlschränke, Elektroautos oder Bio-Tomaten sollen es richten. Eine Idee, die jedoch auch Kritik hervorruft. Denn nachhaltig wäre genau das Gegenteil: nicht konsumieren, sondern Dinge pflegen, reparieren, tauschen, lange nutzen. Nach dem Motto: «Der nachhaltigste Konsum ist der, der gar nicht erst stattfindet.»
«Der nachhaltigste Konsum ist der, der gar nicht erst stattfindet», lautet eine Kritik an der Idee des bewussten Konsumverhaltens. Dem «Realitätscheck» hält diese Aufforderung jedoch nicht gänzlich stand.
Den Fussabdruck steuern
Eine gut gemeinte Forderung, die beim Blick in den leeren Kühlschrank allerdings bereits an seine Grenzen stösst. Und jetzt? «Klar ist: Jede Art von materiellem Konsum hinterlässt einen Fussabdruck», so Sylvia Meyer, Senior Manager im Bereich «nachhaltige Märkte» beim WWF Schweiz. «Doch gänzlich lässt sich dieser nicht vermeiden. Schliesslich müssen wir essen, um zu überleben.» Vielmehr gelte es, nach Möglichkeiten zu suchen, wie sich der Fussabdruck minimieren lässt. So auch im Bereich der Ernährung. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat die Ernährung, den Konsum- und den Produktionsbereich mit eingerechnet, die grössten Auswirkungen auf die Umwelt – vor Wohnen und Mobilität. 28 Prozent der in der Schweiz erzeugten Umweltverschmutzung gehen auf Speisen zurück, die wir täglich konsumieren. Ein durchaus substanzieller Anteil, der sich durch den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Ernährungsweise reduzieren lässt.
"Das Lieferkettenmanagement wird uns in den kommenden zehn Jahren intensiv beschäftigen."
Salome Hofer
Leiterin Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop
«Eine grosse Verantwortung sprechen wir dabei dem Detailhandel zu», so Sylvia Meyer. Der Handel sei zugleich Schaffer und Befriediger von Bedürfnissen und halte entsprechend die Hebel in den Händen. Um die Nachhaltigkeitsperformance der wichtigsten Schweizer Gross- und Detailhändler zu bewerten, führte WWF im Jahr 2018 bereits zum zweiten Mal ein Umweltrating durch. Insgesamt 12 Schweizer Händler im Food- und im Near-Food-Bereich wurden dabei auf ihre Umweltverträglichkeit hin analysiert. Sylvia Meyer: «Im Vergleich zur ersten Studie von 2015 haben die Discounter wie Denner, Lidl und Aldi viel Boden gutgemacht, während die Grossen der Branche – namentlich Coop und Migros – auf hohem Niveau stabil blieben und ihre Spitzenposition beibehalten konnten.»
Pionier im Bereich Nachhaltigkeit
«Nachhaltigkeit spielt bei uns in allen Geschäftsfeldern eine wichtige Rolle. Seit 1973 ist der Umweltschutz in unseren Statuten verankert, und 2006 formulierten wir unsere Leitsätze zur Nachhaltigkeit», so Salome Hofer, Leiterin Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik bei Coop. In die Tat umgesetzt heisst das unter anderem, «dass wir bei unserem Eigenmarkensortiment strenge Mindeststandards einhalten. Als erste Detailhändlerin der Welt decken wir seit 2019 den gesamten Sojabedarf in den Eigenmarken mit verantwortungsbewusst produzierter Soja.» Zudem werde dem Konsumenten mit einer gezielten Sortimentsgestaltung die Möglichkeit für einen nachhaltigen Einkauf geboten. «Hierfür haben wir bei Coop die grösste Auswahl mit einem vom WWF empfohlenen Nachhaltigkeitslabel, wie zum Beispiel Naturaplan, bei dem wir auf die Bio-Knospe setzen, den weltweit strengsten Bio-Standard, Fairtrade Max Havelaar für fair angebaute und gehandelte Produkte oder das MSC-Siegel für nachhaltige Fischerei.»
Damit hievt sich Coop im WWF-Umweltrating in die Kategorie «Vorreiter». Was fehlt denn noch, um in die höchste Kategorie «Visionär» aufzusteigen? «Um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, ist ein isoliertes Handeln nicht ausreichend. Auch wenn es nicht die Hauptaufgabe von Unternehmen ist, Lösungen für die globalen Nachhaltigkeitsprobleme zu entwickeln, so kommt ihnen schon allein aufgrund von Faktoren wie Grösse, Know-how, Ressourcen und Einfluss eine Verantwortung dafür zu», sagt Sylvia Meyer. «Ihre Ziele müssen sie an den planetaren Belastbarkeitsgrenzen ausrichten, und Aktivitäten müssen in den Ursprungsländern stattfinden – da, wo die Wirkung auf Umwelt und Klima am grössten ist.» Es gelte, tiefer in die Lieferketten einzutauchen, Transparenz und Nachverfolgbarkeit zu schaffen, um gezielt Veränderungen in Richtung einer ökologischen und sozial verantwortlichen Produktion zu bewirken. Salome Hofer: «Das Management der Lieferkette beschäftigt uns sehr.» Die Digitalisierung eröffne hierfür neue Möglichkeiten und könne ein Boost für eine branchen- und sektorübergreifende Zusammenarbeit entlang der globalen Lieferkette spielen. Doch klar ist: «Dies lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Es braucht Investitionen und eine entsprechende Infrastruktur. Das Lieferkettenmanagement wird uns in den kommenden zehn Jahren intensiv beschäftigen.»
Der Konsument ist kein Opfer
Und wie sieht es beim Konsumenten aus, welche Verantwortung hat dieser zu tragen? Sylvia Meyer: «Der Verbraucher ist nicht einfach Opfer des Systems und ist genauso gefordert – im Rahmen seiner Möglichkeiten.» Nachhaltig konsumieren bedeute insbesondere bewusst konsumieren. Dabei können einfache Verhaltensregeln helfen, denn «sobald es überkompliziert wird, entsteht eine Abwehrhaltung», so Sylvia Meyer. «Wer Ware mit Flugtransport meidet und regelmässig auf Fleisch zugunsten eines vegetarischen Gerichtes verzichtet, bewirkt langfristig bereits viel Positives.» Weiter lautet eine simple Verhaltensweise: «Kaufe, was du brauchst, und nicht mehr!» Denn nach wie vor ist die Umweltbelastung durch Food Waste in Haushalten am grössten. Pro Person und Jahr lassen die Schweizer ganze 110 Kilogramm einwandfreie Lebensmittel vergammeln. Die Aussage «Der nachhaltigste Konsum ist der, der erst gar nicht stattfindet» hat also auch im Bereich Ernährung zu einem gewissen Teil ihre Berechtigung. Lea Marti
Bewusst einkaufen – mit Musse und vollem Bauch
Eine Studie des Bundesamtes für Energie untersuchte das Einkaufsverhalten der Schweizer Bevölkerung. Zwar sei die Sensibilität für einen verantwortungsbewussten Konsum gegeben, doch scheitere es bei der Alltagshandlung. «Ein Grund ist das begrenzte Umsetzungswissen: Zwei von drei Schweizern können die Saisonalitäten von Früchten und Gemüse nicht bestimmen», so die Studie. Zudem: Unter Stress greifen Menschen auf habitualisierte bzw. einfachere Verhaltensmuster zurück und kaufen im Frühsommer den gelagerten Apfel statt der saisonalen Erdbeere. Punkto Food Waste: Wer mit Hunger zum Einkaufen fährt, kauft oft mehr ein, als er wirklich braucht. Unser Tipp: Wenn der Magen knurrt, essen Sie etwas Kleines, kaufen Sie dann mit Musse ein und nutzen Sie die kostenlose WWF-Ratgeber-App mit Einkaufsratgeber zur Saisonalität. Mehr Informationen unter www.wwf.ch und www.foodwaste.ch. (lm)