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Für die GLP ist die Ausgangslage günstig wie lange nicht mehr. Das einzige Problem sind ihre Kandidaten.
Andri Rostetter
Es war fast ein wenig peinlich. Vor vier Jahren mussten die St. Galler Grünliberalen an der Seite der Piratenpartei zu den eidgenössischen Wahlen antreten. Die Piratenpartei hatte ihre besten Tage hinter sich.2012 erlebte sie einen kurzen Höhenflug, als sie mit Alex Arnold in Eichberg schweizweit erstmals einen Gemeindepräsidenten stellte.2014 trat Arnold zur CVP über, die Piratenpartei kämpfte um ihr Überleben. Bei den Wahlen 2015 durften sie immerhin noch eine Nebenrolle als Listenpartnerin der Grünliberalen spielen. Es war eine Zweckehe, die ihren Zweck verfehlte. Die Grünliberalen verloren ihren einzigen Nationalratssitz, den sie 2011 mit der Patientenschützerin Margrit Kessler gewonnen hatten. Und die Piraten versanken in der Bedeutungslosigkeit.
Dieses Jahr ist die Ausgangslage für die Grünliberalen deutlich komfortabler. Die Partei ist eine Listenverbindung mit CVP, EVP und BDP eingegangen. Die CVP ist zwar seit Jahren im Sinkflug, aber nach wie vor zweitstärkste Kraft im Kanton. Für sie wird es vor allem darum gehen, den dritten Sitz zu verteidigen. Die BDP hat in diesem Wahlkampf zwar nichts zu melden. Seit sie 2016 aus dem Kantonsrat geflogen ist, kämpft die Kleinpartei gegen ihre Auslöschung. Aber als Stimmenlieferant für das Mittebündnis taugt sie immer noch mindestens so viel wie die Minipartei EVP, die seit Jahrzehnten bei knapp zwei Prozent Wähleranteil herum dümpelt. Sollte die Klimadebatte tatsächlich zu einem «Grünrutsch » führen, dürften in diesem Bündnis die Grünliberalen zu den Profiteuren zählen. Die Frage wäre dann, wer den Sitz holt: Parteipräsidentin Nadine Niederhauser oder der bekannte Arzt und HIV-Forscher Pietro Vernazza, der auch für den Ständerat kandidiert. Das Problem der beiden Kandidaten: Im Volk sind sie kaum bekannt.
Yvonne Gilli will zurück ins Bundeshaus
Nutzniesser der Klimadebatte könnten auch die Grünen sein. Die Partei hat vor vier Jahren ebenfalls ihren einzigen Sitz im Nationalrat verloren. Im Unterschied zu den Grünliberalen hatte der grüne St. Galler Sitz aber schon Tradition. Pia Hollenstein sass ab 1991 für die Partei im Nationalrat, Yvonne Gilli bis 2015. Jetzt stehen die Zeichen erneut günstig für einen Sitzgewinn. Und neben Spitzenkandidatin Franziska Ryser ist auch Gilli wieder auf der Liste.
Die Grünen treten erneut im Verbund mit der SP an. Die Sozialdemokraten haben vor vier Jahren zwar keinen Sitz verloren, aber satte 2,5 Prozent Wähleranteile. Das linksgrüne Bündnis muss diese Verluste zuerst wettmachen, will es dieses Jahr einen Sitz zurückgewinnen. Die beiden bisherigen SP-Frauen, Barbara Gysi und Claudia Friedl, dürften aber ungefährdet sein.
Rechts der Mitte ist die Situation genau umgekehrt. SVP und FDP haben vor vier Jahren je einen Sitz gewonnen. Auch wenn bei der SVP alle fünf Bisherigen wieder antreten, ist die Ausgangslage nicht so deutlich. Mike Egger darf sich erst seit Anfang Jahr Nationalrat nennen, sein Bisherigen-Bonus ist damit eher bescheiden. Der Bernecker ist für den Ende 2018 zurückgetretenen Toni Brunner nachgerutscht. Barbara Keller-Inhelder, vor vier Jahren überraschende Gewinnerin des fünften Sitzes (den die Partei notabene 2011 an die GLP verloren hatte), gilt als wenig profilierte Hinterbänklerin. Egger wie auch Keller-Inhelder müssen demnach darauf hoffen, dass die Prophezeiungen, wonach die SVP landesweit Verluste einfahren wird, sich nicht bewahrheiten. Doch den beiden Wackelkandidaten droht nicht nur von ausserhalb der Partei Ungemach. Hinter den etablierten Kandidaten lauert Esther Friedli, Lebenspartnerin von Toni Brunner und als Parteisekretärin tonangebend in der Kantonalsektion. Bei den Regierungswahlen 2016 zeigte sie erstmals, dass mit ihr zu rechnen ist. Sie stieg damals aus dem Stand in den zweiten Wahlgang ein und überraschte alle mit einem beachtlichen Resultat. Seither wird sie als kommende starke Frau im Kantongehandelt – als SVP-Regierungsrätin, als SVP-Vertreterin des Kantons im Stöckli – oder eben als Nationalrätin.
Ein freisinniges Urgestein macht den Weg frei
Noch einmal ganz anders präsentiert sich die Lage für die FDP. Der Freisinn muss dieses Jahr den 71 jährigen Walte rMüller ersetzen. Müller, seit 2003 im Nationalrat, sträubte sich lange gegen einen Rücktritt, obschon in der Partei längst mehrere Möchte gern Nachfolger mit den Hufen scharrten. Jetzt könnte der Weg für eine Frau frei werden: Susanne Vincenz-Stauffacher wird als Topkandidatin gehandelt, seit sie im Frühjahr versucht hatte, den Ständeratssitz der FDP zu verteidigen. Seit jener Kandidatur zeigt Vincenz-Stauffachers Bekanntheitskurve steil nach oben. Bedrängt wird Vincenz-Stauffacher aber ausgerechnet von einer Parteikollegin: Karin Weigelt, Tochter von alt Nationalrat Peter Weigelt, will ebenfalls nach Bern. Die Ex-Spitzenhandballerin ist zwar politisch unerfahren, hat aber mit ihrem Vater einen bestens vernetzten Strippenzieher im Wahlkampfstab. Weigelts Gesicht ist dauerpräsent – genauso wie jenes von Marcel Dobler, der vor vier Jahren überraschend den zweiten Sitz für den St. Galler Freisinn zurückeroberte. Für Dobler dürfte die Wahl zum Spaziergang werden.
Köpfe des Kantons
Im Frühling im Kampf um den Ständerat unterlegen, jetzt mit guten Aussichten: Susanne Vincenz- Stauffacher (FDP) könnte den Nationalratssitz des zurücktretenden Walter Müller erben.
Als HIV-Forscher international bekannt, als Politiker ein unbeschriebenes Blatt: Pietro Vernazza soll für die Grünliberalen den vor vier Jahren verlorenen Nationalratssitz zurückerobern.
Hat kein politisches Amt, aber innerhalb der Partei viel Macht: Esther Friedli, Sekretärin der St. Galler SVP, kandidiert für den Nationalrat. Das könnte einen Bisherigen den Sitz kosten.
Unbestrittene Leaderfigur der Schweizer Bauern und ein sicherer Wert für die CVP: Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands, muss sich um seine Wiederwahl keine Sorgen machen.
2011 rutschte Barbara Gysi (SP) für Paul Rechsteiner in den Nationalrat nach. Der Karriereknick folgte im Dezember 2018 mit der Niederlage im Kampf um das Gewerkschaftspräsidium. (ar)
FDP und SVP gegen Paul Rechsteiner
Ständerat Die St. Galler Sitze im Stöckli sind umkämpft. Seit die SP mit Paul Rechsteiner2011 die Vorherrschaft von FDP und CVP durchbrechen konnte, ist Dynamik im Spiel. Im Frühjahr ist es der CVP mit Benedikt Würth gelungen, den 2011 verlorenen Sitz zurückzuerobern – nicht auf Kosten der Sozialdemokraten, sondern der FDP. Dass Würth diesen Sitz verteidigen kann, gilt als sicher. Deshalb konzentrieren sich die übrigen Parteien auf Rechsteiner. Der SP-Doyen ist nach wie vor eine Leitfigur der Linken, sein Alter gibt aber Anlass zu Diskussionen – Rechsteiner ist dieses Jahr 67 geworden. Die FDP versucht es mit Marcel Dobler. Der Digitec-Gründer schaffte vor vier Jahren als unbeschriebenes Blatt den Sprung in den Nationalrat. Mit seinen 38 Jahren gehört er zu jener Generation von Parlamentariern, die knapp noch mit dem Alter punkten kann. Anspruch auf einen Sitz im Ständerat erhebt auch die SVP. Die Partei ist in den vergangenen Jahren schon mit diversen Köpfen angetreten. Jetzt soll es Roland Rino Büchel versuchen. Der 53-Jährige sitzt seit 2010 im Nationalrat. Dass ihm den Wechsel in die kleine Kammer gelingt, ist wenig wahrscheinlich. Büchel ist keiner, der über Parteigrenzen hinweg die Massen mobilisieren kann. Doch genau diese Eigenschaft ist zu einem gewissen Mass gefragt. Das gleiche Handicap haben auch die Kandidaten von Grünen und Grünliberalen. Franziska Ryser, grüne St. Galler Stadtparlamentarierin mit Jahrgang 1991, könnte in den kommenden Jahren durchaus zu einer bestimmenden Figur der St. Galler Politik werden, allerdings noch nicht bei diesen Ständeratswahlen. Für sie ist dieser Wahlkampf in erster Linie ein Vehikel, um ihre Nationalratskandidatur zu bewerben. Ähnlich ist die Lage für Pietro Vernazza. Der HIV-Forscher geht für die Grünliberalen ins Rennen. Definitiv keine Rolle spielen wird BDP-Kandidat Norbert Feldmann. Die Partei hat im Kanton keine Bedeutung mehr, seit sie 2016 sämtliche Kantonsratssitze verlor. (ar)